Vereinsgeschichte

Zur Geschichte des Comitato italo – svizzero Pro Friuli di San Gallo und des Vereins Pro Friuli St. Gallen - Die Beziehungen St.Gallen-Friaul 1976-2016

von Dr. Walter Lendi

Das Erdbeben im Friaul von 1976 - Auslöser der Gründung des Comitato italo – svizzero Pro Friuli di San Gallo

Am 6. Mai und ein zweites Mal am 11. September 1976 richteten schwere Erdebeben im oberen Friaul grosse Zerstörungen an. Dabei kamen rund 1’000 Menschen ums Leben. Besonders schwer betroffen waren die Gemeinden Venzone und Gemona. Auch Moggio erlitt schwere Gebäudeschäden, doch waren zum Glück nur wenige Menschenleben zu beklagen.
Es bildeten sich in den Nachbarländern – vor allem an Orten mit grossen italienischen Gemeinden - spontane Hilfskomitees, so auch in St.Gallen. Auf Initiative von Renato Galasso, Mitarbeiter beim Konsulat von Italien in St.Gallen, bildete sich das Comitato italo-svizzero Pro Friuli di San Gallo, mit der Textilerpersönlichkeit Gottlieb Dreier (†). Renato Galasso besorgte die Geschäftsführung. In diesem Komitee engagierten sich Private und öffentliche Hand. Kanton, Stadt und Bistum St.Gallen wie auch das Fürstentum Liechtenstein stellten projektbezogene Mittel zur Verfügung. Zusammen mit den grossherzigen Spenden vieler Privater konnten so über eine halbe Million Franken zusammengebracht werden. Das Geld war die eine Seite der Hilfe. Ebenso sehr schätzten die Menschen im Friaul das Mitgefühl, die Solidarität.

Das ehemalige Galluskloster in Moggio Udinese – Historische Verbindung zwischen St. Gallen und dem Friaul

Bei dieser Gelegenheit entdeckten die St.Galler das schwer beschädigte ehemalige Galluskloster in Moggio. Dieses war im Jahre 1119 vom damaligen Patriarchen von Aquileia und gleichzeitigen Abt von St.Gallen, Ulrich von Eppenstein, einem Kärntner, gegründet worden. Wahrscheinlich wirkten dabei auch Mönche aus dem Mutterkloster St.Gallen mit. Intensive Beziehungen zu St.Gallen sind für die Folgezeit nicht nachzuweisen, wie veröffentlichte Studien von Wissenschaftern aus dem Friaul, aus St.Gallen und aus Österreich ergeben haben. Erschwerend für die Forschungen war auch der Umstand, dass nur Teile des Archivs und der Bibliothek der Mönchsgemeinschaft, die sich im Verlauf des 18. Jh. auflöste, überliefert sind .

Das Comitato leistete einen namhaften Beitrag an die Wiederherstellung des Klosters in Moggio. Später kam ein Beitrag des Kantons St.Gallen an die Restaurierung der wertvollen Orgel hinzu. Ausserdem engagierten sich die Helfer am Bau eines Altersheims in Ragogna (Cjase San Gjal).

Verein Pro Friuli St. Gallen - Nachfolger des Comitato italo – svizzero Pro Friuli di San Gallo

Um 1980 herum waren die Hilfsaktionen abgeschlossen. Sie wurden mit einem Besuchsprogramm einer Delegation aus St.Gallen und dem Fürstentum Liechtenstein beendet. Die während der Zeit der Hilfe geschlossenen Freundschaften hatten jedoch den Wunsch entstehen lassen, die Beziehungen weiter zu führen, vor allem auf den Gebieten von Gesellschaft und Kultur. Gefäss der Zusammenarbeit sollte ein Verein sein. So wurde 1984 der Verein Pro Friuli St.Gallen – Associazione Pro Friuli di San Gallo gegründet. Finanzieller Grundstock war ein Restbetrag von rund zehntausend Franken aus der Sammelaktion. Erster Präsident war Gottlieb Dreier. Ihm folgten Ezio Marchi, Stiftsbibliothekar Prof. Dr. Peter Ochsenbein und Stadtpräsident Benedikt Würth. Seit 2011 führt Dr. Isabella Studer-Geisser, Kuratorin für Kunstgeschichte und Aussereuropäische Kulturgeschichte, den Verein.

Seit der Gründung des Vereins wurden zahlreiche Projekte realisiert (z.B. Ausstellungen in Kunst und Kultur, Forschungen und wissenschaftliche Tagungen, Austausch von Chören, Reisen von Chören und Musikgesellschaften). Der Verein, selber nur mit geringen Mitteln ausgestattet, konnte stets auf institutionelle und finanzielle Unterstützung, namentlich seitens des Kantonalen Amtes für Kultur, zählen. Massgeblich zum Erfolg der Beziehungen trug ehrenamtliches Engagement motivierter Personen in St.Gallen und im Friaul bei.

Die Stadt St.Gallen zog sich nach Abschluss der Erdbeben-Hilfsmassnahmen (Anfang der achtziger Jahre) zurück. Persönlich aber blieben die damals beteiligten Stadträte (Dr. Peter Schorer, Karl Rudolf Schwizer) dem Verein als Mitglieder bis heute verbunden. Eine besondere Verbundenheit mit dem Friaul bekundete Bischof Otmar Mäder (†). Er verbrachte in seinem Ruhestand zweimal Ferien in Moggio und testierte zehntausend Franken für die Restaurierung eines „Bildstöckli“, das am alten Fussweg von Moggio Basso hinauf zum Kloster liegt.

Gemeinde und Pfarrei Moggio waren über lange Zeit einzige Partner St.Gallens. Ungleiche Grössen und finanzielle Leistungsfähigkeiten legten es mit der Zeit nahe, die Basis im Friaul zu erweitern. So verständigten sich der Kanton St.Gallen und die Provinz Udine im Jahr 2004 auf eine vertragliche Zusammenarbeit, vor allem in den Bereichen Kultur und Bildung. Die politischen und gebietskörperschaftlichen Veränderungen in Italien, so die in Gang gesetzte Aufhebung der Provinzen, behinderten in der Folge die Verwirklichung der Vereinbarung. Aber auch der Kanton St.Gallen schränkte inzwischen seine kulturellen Aussenbeziehungen ein, zugunsten von Schwerpunkten im Kanton selbst.

Befreit von finanziellen Lasten, welche auf die Ebene der Provinz gehören, schloss die Gemeinde Moggio im Jahr 2005 mit der Gemeinde Pfäfers eine Zusammenarbeitsvereinbarung. Diese war wegen sich verändernden Interessenlagen bis jetzt nicht erfolgreich.

Das Gedenken an das Erdbeben und seine Opfer war nach dreissig Jahren (1976-2006) Anlass für die Schaffung der Fotoausstellung „Frammenti di Memoria“. Diese wurde von den Gemeinden Moggio (Sindaco Ezio De Toni, Vizepräsident des Vereins Pro Friuli [†]) und Venzone initiiert und unter Mitwirkung öffentlicher und privater Geldgeber realisiert. Die Ausstellung wurde 2007 im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen, 2008 im Stadthaus von Rapperswil-Jona und zuletzt im Alten Bad Pfäfers gezeigt.

Im Oktober 2008 stattete Bischof Markus Büchel Moggio und dem Friaul zusammen mit einer St.Galler Delegation einen Besuch ab, der als ermutigendes Zeichen für den Willen zu Aufrechterhaltung und Pflege der Beziehungen aufgenommen wurde.

Das Friaul ist auch ein beliebtes Ziel für Reisen sanktgallischer Kulturvereine. So war die St.Galler Knabenmusik schon wiederholt im Friaul, finanziell unterstützt von Kanton St.Gallen und organisatorisch begleitet vom zweiten Sekretär des Vereins Pro Friuli (Renato Galasso, Spilimbergo).

Eine neue Initiative ergriff der Verein unter dem Präsidium von Dr. Isabella Studer-Geisser (gewählt im November 2011). Unterstützt vom vormaligen Präsidenten Benedikt Würth, der vom Stadtpräsidenten Rapperswil-Jona in die St.Galler Regierung gewählt wurde, stimmte der Kantonsrat einem Projekt zur Erneuerung der Beziehungen mit dem Friaul zu (Lotteriefonds, Fr. 30‘000.- für Vorhaben im Zeitraum 2012-2014). Die Pfarrei Moggio nahm das hiesige Gallusjubiläum (612-2012) zum Anlass eines „Pellegrinaggio“ zu ihrem Patron (Ende August/Anfang September 2012). Ein weiteres Projekt war der friulanischen Mosaikkunst gewidmet. Studierende der „Scuola Mosaicisti del Friuli“ führten in St.Gallen Technik und Kunst bei praktischer Arbeit vor (Juni 2013). Schliesslich zeigte das Historische und Völkerkundemuseum St.Gallen unter der Projektleitung von Präsidentin Isabella Studer-Geisser die Ausstellung „Tina Modotti“ (1896 Udine-1942 Mexiko), Emigrantin, Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin aus dem Friaul (30. August 2014 bis 4. Januar 2015).

An seiner Mitgliederversammlung vom 28. April 2015 erneuerte der Verein Pro Friuli seinen Vorstand. Der Sekretär und der Kassier, zwei Amtsträger seit der Gründungszeit, wurden abgelöst: Sekretär Walter Lendi durch Carlo Schmid-Sutter und Kassier Gian Pasqualini durch Anna-Rosa Brocchetto.

Im Jahre 2016 finden in St.Gallen zwei Veranstaltungen statt: Am 19. Mai ein Gedenken an das Erdbeben vor vierzig Jahren am 6. Mai 1976, und vom 16. bis 23. September Friulanische Wochen mit dem Thema traditionelle Ess- und Trinkkultur im Friaul.

Ausblick

Die zukünftige Aufrechterhaltung und Fortführung der Beziehungen zum Friaul hängt in erster Linie ab von den Menschen und Institutionen, die dazu willens sind, von den verfügbaren Finanzen und schliesslich von den Synergien der verschiedenen Akteure. Die enge und einvernehmliche Zusammenarbeiten zwischen dem Verein Pro Friuli, dem Fogolâr Furlan St.Gallen sowie dem Centro Socio-Culturale Italiano bilden eine hoffnungsvolle Grundlage für zukünftige Projekte.